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Heute erschlägt keiner mehr einen!

Von Teramo

Wenn ich nach Celano fahre, dann ist immer zumindest ein 20 Liter-Kanister dabei! Nein, nicht oben im Städtchen kaufen wir den vino sfusi, den offenen Wein, sondern unten "am See" in Paterno (Adresse: Cantina Cooperativa Del Fucino in Paterno). Es ist eine Kellerei auf Genossenschaftsbasis, dem schmaleren Geldbeutel sehr gelegen. Hier kauft man den Montepulciano d´Abruzzo, wo sich doch der Kenner immer fragt, wo liegt denn der Ort. In den Abruzzen gibt es kein Montepulciano wie in der Südosttoskana - es muss wohl eine Art der Traube des vino nobile sein. Denn ich habe Abfüllanlagen an der Küste bei San Benedetto gesehen, wie im Landesinneren, immer hiess es: Montepulciano s´Abruzzo. Ich habe hier meine Quittung vor mir liegen: 15 Liter für € 19,50 und der Wein war gut.

Von dort geht es noch so circa 7 Kilometer den Berg aufwärts und schon biegen wir aus der Hauptstraße auf den sonderlichsten Platz der Abruzzen. Nein, keine besonderen Bauten um den Platz herum, die Fassade der Hauptkirche ist nichtssagend. Auch die Innenfläche de Platzes: kein Brunnen, nichts Spektakuläres. Das besondere diese Platzes ist seine Lage und seine Begeher.

Der Platz Piazza d. IV Novembre liegt einerseits wohl auch orographisch mitten in der Stadt. Ja, auf der anderen Seite, nämlich nach Westen ausgerichtet, aber auch am Rande des Zentrums. Nach Westen ist der Platz offen und ist so auch ein Aussichtsbalkon. Unter dem Platzniveau fällt nach Westen der Fels ab und eröffnet den Flanierenden ein prachtvolle Sicht "auf den See" und die gegenüberliegenden Berge. Und egal wo du dich auf dem Platz befindest, nach Westen ist die Sicht immer frei. "Auf den See" siehst du nur, wenn du dich ans Geländer begibst, aber die Sicht auf gegenüberliegenden Berge und das Ahnen von der Tiefe hast Du von überall auf dem Platz. Und da der Einwohner, aber auch der Gast, von dem Vorhandensein "des Sees" weiss, ist diese Perspektive der Reiz.

Und - wie eine Schwäbin sagen würde: "die Mannen", die über diesen Platz flanieren. Ja, das ist erstaunlich, ein wohl noch archaisches Ritual - in Celano gilt noch die Männergesellschaft, zumindest hier auf dem Platz. Es gehen die Männer in Gruppen, zu zweit, zu dritt, allenfalls zu viert den Platz von Osten nach Westen und wieder zurück, gleichsam der Vorgabe auf dem Gefängnisinnenhof. Naturalmente! Sie machen es freiwillig und würden diesen Vergleich nie verstehen. Doch hin und wieder quert auch eine Frau den Platz. Sie trifft dazu, erzählt gewichtig etwas, verschwindet aber wieder nach einer Minute, zwei oder allenfalls drei Minuten. Deutlich wird: der Platz gehört den Männern, die Müßiggang haben können - halt Rentner und die beginnen in Italien so ab den Vierzigern.

Heute ist es zu kalt, als dass wir uns vor eines der Straßencafes setzen können. Nein, nicht für uns zu kalt - der Tag ist herrlich und wenige Stunden später werden wir ja in der Sonne vor dem VW-Bus sitzen - aber für die Cafe-Betreiber: keine Tische und Stühle sind draußen aufgestellt. Ich hoffe nicht, dass es ein Zeichen schlechter konjunktureller Zeiten ist.

Aber Celano ist nicht nur dieser Platz, sondern hauptsächlich die Burg des Ortes, die Dritte - allerdings jeweils von sich untereinander abschreibend - andauernd erwähnen. Die Burg ist auch klasse. Ein Oktagon wie andere berühmte Bauwerke, mittlerweile wieder hervorragend restauriert, und es beherbergt ein kleines, aber didaktisch toll aufgebautes Museum. Religiöse Kunst des Marserlandes. Ich sehe die Leute beim Lesen dieses Themas schon die Nase rümpfen.

Aber aufgepasst: Erstens ist diese Kultur, nämlich die der Marser, eine regional ernstzunehmende. Sie waren unter den Römern offenbar damals so aufmüpfig, dass die Römer noch in republikanischer Zeit oben in Alba Fucens eine Besatzerstadt bauen mussten. Aber dann, in der Folgezeit herrschten hier die Colonna und Orsini und ein Piccolomini bekam von seinem Onkel, dem Renaissance-Papst Pius II diese Burg geschenkt. Diese Linie muss dann wohl auch am längsten Eigentümer des Festungsbaues gewesen sein. Durch das große Erdbeben so um 1920 rum, welches sogar in Renzo Paris Roman "Die Nacht der Diebe" erwähnt wird - er beschreibt in seinem Roman die Furcht vor dem Fremden, siehe Titel - muss die Burg sehr beschädigt worden sein. Im Innenhof sind Fotos ausgestellt, welch große Kraftanstrengungen es gekostet hat, die Anlage so zu restaurieren, dass sie wieder einer echten und sinnvollen Nutzung zugeführt werden konnte. Und Celano scheint rührig zu sein, denn nun planen sie noch einen botanischen Garten an den Mauerabstürzen der Burg. Die ausgestellten Objekte in dem Museum sind im wesentlichen interessant und wenn man zuvor in Alba Fucens nicht in das Kirchlein San Pietro eintreten konnte, so ist man dankbar, hier wenigstens die steinerne Kanzel antreffen zu können, die das wertvollste Interieur dieser so alten Kirche darstellt.

Ein paar Worte zum Lago Fucino: Bis 1876 lag in der heutigen Fuciner Ebene der Lago Fucino, ein See zuvor weit größer als der Trasimenische See, galt er doch als größtes Binnengewässer Italiens. Aus seinen Wasser stammten offenbar gute Süsswasserfische, die zumindest in den Küchen Roms sehr begehrt waren. Um seine Ufer muss es fruchtbare Landwirtschaft gegeben haben, denn auch Gemüse und Wein war bis Rom bekannt und hatte offenbar einen so guten Ruf, dass bereits der römische Kaiser Claudius den Auftrag vergeben hatte, den See trockenzulegen und seine Fläche als Gartenland zu nutzen.

Die Idee war einfach: Über das westlich tiefer gelegene Lirital sollte das Wasser entsorgt werden, quasi einem Abfluss wie bei einer Badewanne. Bei der großen Zeremonie, bei denen die Emissäre in Betrieb genommen werden sollten, kam es aber zu einem grandiosen Desaster, bei dem Claudius samt Ehefrau fast selbst draufgegangen wären. War nix mit Stöpsel rausziehen! Auch die Orsinis und Colonnas spielten mit dem Gedanken der Trockenlegung, aber ernsthaft wohl nicht. Dieser Gedanke wurde erst Mitte der 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen, zuerst durch eine Financiergruppe - Kapitalisten wie sie Gregorovius noch selbstverständlich beschreibt - , am Schluß nur noch über den unermesslich reichen Principe A. Torlonia, einem Bankier aus römischen Neuadel. Dieser engagierte einen gescheiten Schweizer Ingenieur. Nach 22-jährigen Arbeiten zog dieser 1876 den Stöpsel. Heute liegt der Emmissario Claudii gut 5-10 m über dem Niveau der brettelsglatten Hochebene, dem früheren Seengrund. Mehrere Kanäle durchziehen das Land, das nunmehr weitgehend landwirtschaftlich genutztes Land ist, hier mal eine Fabrik, dort mal ein anderer Großbetrieb. Es fegt beständig ein kühler Wind über die Ebene, im Winter bestimmt unangenehm. Wir haben auch schon im Spätherbst gelitten.

Geschrieben 26.02.2003, Geändert 26.02.2003, 1295 x gelesen.

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